Als Sammler darf ich über das selbe Problem jammern wie die meisten Sammler auch. Die Platzprobleme. Zugegeben, im Vergleich zu vielen anderen Sammlern geht es mir mit dem zu einem Museum umgebauten Kuhstall sehr gut. Dennoch. Platzprobleme habe auch ich. Daher, ich bin Sammler. Der Platz ist längst aufgebraucht, das Geld ebenso, aber wenn das richtige Stück kommt, geht es irgendwie immer. Was den Sammler ebenfalls auszeichnet ist, bei einem Sammler ist eine Sammlung nie abgeschlossen. Ist sie das, ist entweder die Sammlung tot, oder der Sammler. Man findet immer einen Grund – um nicht Ausrede zu sagen – etwas neues zu kaufen. In meiner Sammlung stehen ein Saurer Lastwagen und ein Berna Lastwagen. In der Geschichte der Schweizer Lastwagen, gab es drei grosse Marken: Saurer, Berna und FBW. Letztere blieb bis zur Schliessung 1984 eigenständig, während Berna wegen finanzieller Schwierigkeiten schon 1932 in die Knie ging und sich von Saurer übernehmen liess.
Bei mir hatte alles mit einem Saurer angefangen. Richtig, mit dem Carba Saurer. Ein knappes Jahr später fand der Berna von 1936 den Weg in meine Halle und als die zwei bekannten Marken in meiner Sammlung vertreten waren, drang wieder die Sammlergier in mir durch und um die Sammlung der drei grossen Schweizer Lastwagenmarken zu vervollständigen, musste einfach noch ein FBW her. Das Problem war nur, die FBWs gefielen mir nie besonders. Ihre eckigen und meiner Ansicht nach nicht proportionalen Formen liessen sich mit den von Rubens Frauen ähnlichen Rundungen von Saurer und Berna nicht vergleichen. FBW war schon immer eigenständig, im Design, wie auch in der Technik. Franz Brozincewic, der Gründer der Marke (Franz Brozincewic Wetzikon für FBW), hatte für kurze Zeit sogar bei Saurer in Arbon gearbeitet. Überlieferungen zu Folge solle er damals mit Verbesserungsvorschlägen an die Geschäftsleitung von Saurer getreten sein, doch diese sollen von seinen Ideen nicht sehr begeistert gewesen sein. Quintessenz war, Brozincewic machte sich selbständig und verwirklichte seine eigenen Ideen. Anfangs baute er Autos, dann Lastwagen, dies weil die Zeit einfach nach solchen Transportmitteln verlangte. Es war die Pionierzeit schlechthin und im Zuge des Aufschwungs, wo an allen Ecken und Enden gebaut wurde, brauchte es Lastwagen. Es war die Zeit als sich die Schweiz zu einem Industrieland mauserte und Borzincewic stand mitten darin. Tiefer in die Geschichte der FBW möchte ich nicht gehen, das haben andere bereits getan. Die frühen FBW Modelle weichen von den Modellen der beiden anderen grossen Lastwagenbauern, Saurer und Berna, nicht viel ab. Alle haben sie die schönen Stoffdächer, fahrerseitig eine zweiteilige Frontscheibe und die klassische 20er – 30er Front mit der vernickelten, später verchromten Maske. Die FBWs ab 1950, gefallen mir persönlich weniger. Kenner sagen, dass FBW stets der Zeit voraus war und sie sich schon grafisch einen Tick von den anderen abhoben, von den technischen Raffinessen die in Wetzikon angeboten wurden, gar nicht zu sprechen. Doch für mich stand fest, wenn ein FBW, dann nur ein sehr alter. Am liebsten einer aus den Dreissigern oder noch älter. Im Bewusstsein, dass diese sehr schwer zu finden sind, hatte ich nicht einmal einen Gedanken daran verloren, nach einem solchen zu suchen. Aber das schöne im Leben ist, manchmal findet einen etwas, dass man gar nicht sucht. Das nennt sich dann Schicksal. Dieses holte mich im September 2019 ein. Ein Sammlerkollege, der Aeberhard Tinu, rief mich überraschend an und erzählte mir von einem FBW Lastwagen von 1929 der zum Verkauf stehe. Der Tinu, der mich mit der Aussage: «gäu, der FBW fäuht dir ja no i dire Sammlig», auf dem richtigen Fuss erwischte, wusste genau das ich beim richtigen Angebot nicht widerstehen konnte. Und seiner Beschreibung nach, einem sehr frühen Modell eines FBW, war dies der Fall. Als er dann noch sagte, es handle sich um einen originalen und unrestaurierten Feldschlösschen Lastwagen, wars um mich geschehen. Ein alter Lastwagen der zudem mit dem Logo einer grossartigen schweizer Traditionsfirma versehen war, eine Biermarke die es notabene heute noch gibt, ist für einen Sammler wie mich, das Nonplusultra! Zugegeben, das ich heute kein Feldschlösschen trinke, liegt an meiner Sturheit, da ich nur Schweizer Bier trinke. Nicht sehr oft, aber wann, dann nur eines das hier zu Lande gebraut wurde und noch vollständig in Schweizer Besitz ist. Es ist für mich Patrioten schmerzlich genug, zusehen zu müssen, wie viele grossartige Schweizer Firmen ins Ausland abwandern oder sich verkaufen. Nicht selten Firmen, die grundsätzlich rentieren, ihre positiven Umsätze jährlich vorweisen können und keinesfalls einen Grund dazu hätten, sich im Ausland niederzulassen. Doch bevor ich mich mit meiner altbackenen Haltung vollends im Jammertal verliere, zurück zum Eigentlichen. Der Besitzer des FBWs sei über neunzig und gesundheitlich angeschlagen, aus diesem Grund stünde der FBW zum Verkauf, verriet mir Tinu. Einen Termin abzumachen sei nicht leicht, er werde sich bei mir melden, wenn er mit dem Besitzer, Herrn Schär, einen Besichtigungstermin ausgemacht habe. Bis es soweit war, musste ich zwei Mal telefonisch bei Tinu nachstossen, doch dann kam der Besichtigungstermin zu Stande und wir trafen uns an einem Samstag, Ende September, in Aegerten, einem Vorort von Biel. Vor den Toren der ehemaligen Firma Schär traf ich auf Tinu, der mich nach einer kurzen Begrüssung über Herrn Schärs Vorgeschichte aufklärte. Herr Schär sei eine Legende, verriet er mir ehrfürchtig. Er habe während der Vierzigerjahre bei der Firma Berna in Olten gearbeitet und habe mehr oder weniger jede Abteilung durchlaufen. Unter anderem habe er lange als «Einfahrer» im Dienste von Berna gestanden. Das heisst, wenn die neuen Lastwagen die Werkhalle verliessen, wurden sie einer ausgiebigen Probefahrt mit diversen Tests unterzogen, ehe sie ganz fertig gestellt und dem Kunden übergeben wurden. Wahnsinn dachte ich für mich. Der Mann fuhr mit Lastwagen herum, die waren damals nigelnagelneu und sind heute gesuchte Sammlerstücke. Für mich Jungspund unvorstellbar. Als Herr Schär im Beisein seiner Betreuerin, Bernadette, am Treffpunkt erschienen, wurden erst einmal die Anstandsfloskeln ausgetauscht. Nach einigen Worten mit Herrn Schär, musste dieser gemerkt haben, dass ich noch aus altem Holz geschnitzt war und er bot mir das Du an. Als er das Seitentor zur Halle öffnete, stand ich direkt vor dem FBW. Verglichen mit meinen beiden anderen Lastwagen in der Sammlung, war dieser hier ein kleines Modell. Ein hübsches Modell. Spontan kamen mir Stummfilmszenen aus Buster Keaton Zeiten in den Sinn, wo sich solche Lastwagen in schwarz-weiss, in zittrigen Bildern, hastig schnell über die Bildflächen bewegten. Ebenso gut hätte der FBW die Rolle der Stanley Statue in Cars übernehmen können, der kleine alte Laster auf dem Steinsockel. Natürlich waren die Lastwagen in den zwanziger Jahren im Allgemeinen noch nicht so gross, aber der hier war selbst für die damalige Zeit ein kleiner Lastwagen und würde nach heutigen Verhältnissen als Lieferwagen durchgehen. Als ich den FBW näher betrachtete, in seiner ehrlichen Haut, mit all seinen Rissen im Lack und den Abplatzern in der Farbe, war mir, als stünde ich vor einer Ausgrabung aus der Antike. Möglicherweise ist dieser Vergleich gerade ein wenig weit her geholt, doch dieser FBW stand dermassen unverbastelt und original da, für mich hatte er den gleichen Wert wie ein Fund aus dem alten Rom, der soeben ausgegraben worden war. Am liebsten hätte ich das gute Stück umgehend in Watte eingepackt und mit nach Hause genommen. Ich kann dieses in den letzten Jahren in der Oldtimerszene völlig überbewertete Trendwort: Patina, selber nicht mehr hören, doch der Zustand des FBWs kann eben mit keinem Wort treffender umschrieben werden. Die Oberfläche des FBWs hatte in den letzten 90 Jahren gealtert und genau dieser natürliche Alterungsprozess zeigte den FBW in einem herrlichen Patinaschleier. Nie wurde er neu lackiert, die erste Bemalung, der Kunstharz Anstrich, ist noch immer drauf. An diversen Stellen zeichneten oberflächliche Risse die Farbe, an einigen Stellen an den Kotflügeln fehlten Farbstücke, aber alles in allem erzählte dieser FBW die unverblümte, ehrliche Geschichte. Wie ein Kriegsveteran der seine alten Jahre in einem Altenheim absitzt, gezeichnet von seinen Einsätzen, aber glücklich. Und weil alles dran ist am Lastwagen und alles in etwa gleich gutem – oder schlechtem Zustand, dies liegt im Auge des Betrachters - ist es für mich ein grossartiges Fahrzeug. Die breiten Trittbretter die sich von den hinteren Kotflügel bis zu den vorderen ziehen, wo sie übergangslos, schwungvoll in die vorderen verlaufen, das Stoffdach das mit den sogenannten Hornfenstern den Abschluss bildet und die kleinen Türen mit den geschwungenen Türgriffen, zeichnen das typische Bild eines frühen Lastwagens ab. Im Innern eine Sitzbank mit Rückenlehne, das alte Dreispeichenlenkrad mit Holzeinfassung und die nötigsten Armaturen. Am Lenkrad befinden sich zwei Einstellhebel, einer für die Vorzündung, der andere für das Standgas. Vorzündung deswegen, weil der alte FBW noch mit Benzin betrieben wird. Von Werner erfuhr ich, dass er den Lastwagen seit über zwanzig Jahren besitzt. Er stammt von W. Brenzikofer, dem bekannten Getränkehändler in Biel aus dessen Bierdepot Feldschlösschen. Er selber habe den FBW in einer Getreidescheune in Dotzigen entdeckt, dort habe er bereits einem Garagier und Transporteur gehört, der in Biel seine Niederlassung hatte. Nach dem Kauf habe Werner die Seitenläden der Ladebrücke in einer Fachwerkstatt in Zürich neu machen lassen, die am Fahrzeug waren nicht mehr die originalen. Der ganze Rest des Lastwagens befinde sich seiner Ansicht nach in noch gutem Zustand, aus diesem Grund habe er von einer vollständigen Restaurierung abgesehen. Als ich auf diese Aussage hin Werner meine Philosophie verriet: «Original ist etwas nur einmal im Leben» und das ich den FBW ganz sicher auch nicht zerlegen und restaurieren werde, hatte der grosse Freude. Werner war mir von Beginn an sympathisch. Ein Patron wie zu alten Zeiten, einer der viel erlebt hat, aber auch viel gewagt und nichts unversucht gelassen hat. Werner war für mich wie ein offenes Geschichtsbuch, ich musste mich nur dafür haben, mit meinen Fragen darin zu blättern. Es ist quasi selbsterklärend, dass Werner und ich handelseinig wurden. Per Handschlag wechselte der FBW in der ehemaligen Schär Halle in meinen Besitz über, eine Anzahlung wurde umgehend geleistet. Anfangs Oktober holte ich den FBW mit Unterstützung von Blaser Tinu und dessen Dodge Ram auf dem Tiefbettanhänger, in Aegerten ab. Es war bewölkt, der Regen drohte jede Minute zu kommen, doch es blieb bei leichtem Niesel. Viele schöne Zufälle im Leben ereignen sich weil sie es müssen, so lernte ich vor einigen Jahren Schaffer Kurt kennen. Bei ihm stoppte ich einmal spontan, weil vor dessen Garage, notabene auf meinem Arbeitsweg, ein alter Saurer C Wagen stand. Wir hatten uns gefunden und mittlerweile hat sich eine Freundschaft entwickelt. Kurt bot mir Hilfe an, wenn ich in Bezug auf die alten Lastwagen, welche benötige. Auf dieses Angebot griff ich nun zurück und so durfte ich den FBW direkt zu ihm führen lassen. Da Werner einige Motorenteile entfernte und die Lenkung klemmte, galt es nun, den Lastwagen zum Laufen zu bringen und die Lenkung wieder gangbar zu machen.