Nachstehende Geschichte ist weder herzzerreissend, noch nervenaufreibend, nicht tragisch und auch nicht komisch. Es geht um den Kauf und die anschliessende Überführung eines Lastwagens. Die Geschichte hätte ganz gut in mein erstes Buch, die Auto-Biografie gepasst. Doch wenn ich mich zurückerinnere, an die unvergessliche Fahrt des alten Saurers von der Ostschweiz ins Emmental, sehe ich einen alten Heimatfilm ablaufen. Hätte ich eine Singstimme gehabt, hätte ich wie Heintje ununterbrochen während den gesamten fünf Stunden Fahrt gesungen. Und weil mir der Eidgenosse aus dem Schweizer Hause indessen so stark ans Herz gewachsen ist und er mittlerweile über sechzig Jährig ist und nach Menschenalter demnächst in Rente gehen würde, möchte ich doch von der legendären Überführungsfahrt berichten. Würde ich es unterlassen, könnte es gut sein, dass ich daran ersticken würde, denn irgendwie bin ich es dem Alten schuldig, ihn zu erwähnen. Wer überhaupt kein Benzin, oder besser gesagt Diesel im Blut hat, kein Sinn für die vergangene Schweizer Industriekunst, der verletzt zwar meine Gefühle, darf aber dieses Kapitel überspringen. Für Technikfreaks und Oldtimerbegeisterte könnte es ein Leckerbissen werden.
Doch beginnen wir von vorne. Dass ich seit jeher eine Schraube locker habe, weiss ich. Alle andern ziehe ich herzhaft an, oder ersetzte sie. Die meinige jedoch; zwecklos. Bereits als Kind war ich schon Lastwagenfan und es drehte sich alles um die „Brum-Brum‘s“. Anfangs waren es noch die Kenworth und Peterbilt’s aus Übersee, heute schwärme ich für die massiven Eidgenossen aus dem Hause Saurer und Berna. Während meiner Schulzeit, bzw. Ferien, verbrachte ich Tage und Nächte in den Blech-Chalets und ich genoss jeden Kilometer als Beifahrer darin. Die Jahre vergingen und meine Hingabe zu den Dicken auf der Strasse hatte nicht nachgelassen. Nach der Polizeischule machte ich die Führerprüfung für die Kategorie C und E, sprich Lastwagen und Anhänger. An dem Tag als ich die Prüfung bestand – damals konnte man noch beide Kategorien auf einmal machen – fuhr ich am selben Abend mit einem Anhängerzug nach Basel und am anderen Morgen neu beladen wieder zurück. So konnte ich meinen Bubentraum, Truckerfahrer sein, neben meinem Polizeiberuf doch noch ein wenig frönen. Mit der Umsetzung meines grössten Bubentraums, eine Halle für meine Oldtimer, ward auch Platz für einen Lastwagen geschaffen, nun konnte ich auch diesen langersehnten Wunsch umsetzen. So stiess ich mehr zufällig als gewollt im Ricardo auf einen wunderschönen Saurer von 1956. Der Lastwagen machte auf dem einzigen Foto das den Brumi veil hielt einen guten Eindruck, aber eben, es war nur ein Foto. Es war ein Schnauzer und er war gelb mit schwarzen Kotflügeln. De Startpreis von einem Franken war mehr symbolisch als real, denn die Firma welche den Saurer verkaufte, beabsichtigte den Erlös vollständig der karitativen Aktion; „Jeder Rappen zählt“ zukommen zu lassen. Da mir dieses eine Foto nicht genügte, nahm ich Kontakt mir der Firma Carba auf, welche zufällig in Bern ihren Sitz hat. Die Telefondame konnte sich anfangs gar keinen Reim aus einem Saurerlastwagen und der „Jeder Rappen zählt“ Aktion ausmachen. Stur und fest behauptete sie, dass sie keinen alten Lastwagen verkaufen würden und das ich sicher eine falsche Nummer gewählt habe. Als ich der Frau dann den Lastwagen beschrieb, mit der Aufschrift „Carba“ an der Türe und „Komprimierte Gase“ an den Seitenladen, verstummte diese, denn es war offensichtlich, dass es sich um einen Lastwagen der Gas-Firma handeln musste. Es bedurfte einigen Abklärungen firmenseitg, ehe der Verkauf des Lastwagens bestätigt werden konnte und man mir die Kontaktdaten einer zuständigen Person anvertraute. Der Trümpler Hans fiel dann wiederum aus allen Wolken als ich ihn anrief und ihm vom Verkauf des Carba Saurers berichtete. Er, der lange Zeit verantwortlich für den Lastwagen war, bei der Restaurierung des Eidgenossen die Fäden zog, war enttäuscht von der Firma, dass er nicht über den Verkauf informiert worden war. So gehe es halt, wenn eine ausländische Grossfirma die kleine Firma in der Schweiz schlucke und das alte Zeug überflüssig werde. Ein Gas-Riese der seinen Sitz nicht hier in der Schweiz hat, der interessiert sich kaum für das technische Kulturgut einer übernommenen Firma aus dem Ausland. „s’isch haut nüm wie früecher“ hörte ich Hans klönend durchs Telefon sagen. Wir machten einen Besichtigungstermin aus und so stand ich wenige Tage später im Liebefeld wo der Saurer abgestellt war. Hans öffnete das alte Holztor und ganz kurz erlebte ich eine Zeireise. Denn unmittelbar hinter dem riesigen Holztor stand der mächtige Saurer. Eingepfercht von einem Haufen Grümpel, umlagert von anderen alten Fahrzeug und Unrat, entpuppte sich der Saurer mehr nach einem Scheunenfund, als nach einem Fahrbaren Oldtimer der zum Verkauf stand. „So steit är jetz scho sit bau vierezwänzg Jahr da inne“ resümierte Hans und schüttelte dabei den Kopf und blickte auf den Boden, als würde er sich für die Firma schämen. Dies tat er auch wie er offen bekundete. „So verchouft mä kes Fahrzüg, das isch Seich!“ wetterte Hans freimütig. Hätte man ihn über das Vorhaben informiert, hätte er sich Zeit genommen und den Saurer zum Verkauf bereit gestellt. Nun bleibe mir nichts anderes übrig, als ihn so zu besichtigen und zu beurteilen wie er hier stehe. Ich müsse halt über den ganzen Müll drüber klettern, wenn ich mehr sehen wolle. Hans wandte sich kurz ab von mir, ich merkte ihm die Enttäuschung über die Situation an. Ich stieg auf die Stossstange und wischte mit einer Hand die dicke Staubschicht ab. Darunter kam das schöne Gelb hervor, es war mehr ein Beige-Gelb, eine Art Sandfarben. Kein knalliges Zitronengelb oder so, dies hätte überhaupt nicht zum Saurer gepasst. Auf dem I-Phone hatte ich die Taschenlampe eingeschaltet und von aussen leuchtete ich den Innenraum der Kabine aus. Rostrote Ledersitze, eine Sitzbank besser gesagt, der Holzrost mit dem überspannten Segeltuch als Dach und dann das überdimensionale weisse Lenkrad, einfach grossartig. Über zwanzig Jahre sagte ich leise, tief beeindruckt von diesem grossartigen Stück Schweizer Geschichte. Über zwanzig Jahre musste der Saurer für etwas sühnen, wofür er nichts konnte. Nämlich dem Wandel der Zeit, einer Übernahme seiner einst so stolzen Firma und der Tatsache, dass der Betrag den er einbringt, Startpreis ein Franken, irgendwann in Afrika landet. Der Urvater der Saurerlastwagen, Adolph Saurer, würde sich im Grabe umdrehen für die Respektlosigkeit die man seinem einstigen technischen Wunderwerk entgegenbringt. Weit über ?? Erfindungen liess Adolph Saurer patentieren, einige davon sind noch in heutigen Lastwagen zu finden. Saurer war seiner Zeit weit voraus und so verkaufte die Firma aus Arbon bereits in den zwanziger Jahren Saurer Lastwagen auf die ganze Welt. Ein Werk wurde in Wien gebaut, eines in der Nähe von Paris und auch in London und in den USA gab es Niederlassungen. Und nun steht hier in Bern, pietätslos abgestellt, ein Stück Firmengeschichte, dass hofft, nun an den richtigen Käufer zu geraten. Ich sah mich nicht als diesen. Der Zustand des Saurers überzeugte mich nicht, vielleicht war es nicht sein tatsächlicher, sein technischer, sondern vielmehr die Geschichte dahinter. Zugegeben, ich bin kein Mechaniker und das fundierte Wissen rund um die Saurertechnik fehlt mir tatsächlich. Aber ja, irgendwie ging ich mit Hans einig, dass der Verkauf des Lastwagens kein sauberer Auftritt und somit eine unschöne Visitenkarte der Firma war. Auch wenn der Gedanke hinter dem Verkauf ein sozialer ist. Wäre der Firma der höchstmögiche Erlös zu Gunsten der Aktion; Jeder Rappen zählt, wichtig gewesen, hätten sie den Saurer entsprechend bereit gestellt. Ihn gewaschen, zum Laufen gebracht, mehr als nur ein einziges Foto ins Netz gestellt und eine Kontaktperson für nähere Auskünfte angegeben. Ich kam zum Fazit, dass es mehr ein Furz eines karriereeifrigen Angestellten war, als eine von sauberer Hand durchdachte Aktion. Der Saurer wurde schlussendlich für knapp über achttausend Franken verkauft, Afrika wird’s gefreut haben. Der für einen Oldtimerlastwagen reservierte Platz in meiner Sammlung stand nach wie vor leer, die Suche nach einem für mich passenden Objekt konnte weitergehen. Vom Carba Saurer hatte ich Fotos gemacht, für mich war klar, genau so einer muss es sein. Ein C Modell aus den Fünfzigerjahren, ein Sechszylinder mit der langen, schmalen Schnauze und dem flachen Dach.
Das Jahr verging und in meinem Pflichtenheft der ganz wichtigen Termine, stand der Besuch beim alljährlichen Saurertreffen auf dem Campus in Sursee auf dem Programm. Phippu, ein guter Freund von mir und ich entschieden uns, die Fahrt nach Sursee im 1977er Pontiac Trans AM anzutreten. Als ich bei der Einfahrt in den Campus von alten Lastwagen umgeben war, fühlte ich mich ein wenig wie Bandit aus dem Film „Ein ausgekochtes Schlitzohr“. Dort hatten nämlich nebst Burt Reynolds und Jerry Reed, der Trans AM und ein Kenworth Sattelzug die Hauptrolle. Hier in Sursee waren es Saurer, Berna und FBW und ich fühlte mich saumässig wohl in der Runde der dicken Eidgenossen. Auch wenn mir mein Trans Am sehr gut gefällt, wäre ich gerne einer der Besucher gewesen, die mit dem eigenen Oldtimerlastwagen das Campusareal befuhren. Hoch oben sitzend, den begeisterten Zuschauer zuwinkend, neben Gleichgesinnten parkieren und sich mit dem Nachbar in Benzin- oder besser gesagt, Dieselgespräche verwickeln, ja, das hätte mir gut gefallen. Phippu und ich begaben uns vom Parkhaus direkt in den Kern des Geschehens. Als ich vor der Verpflegungsecke stand und mich umsah, stach mir sofort etwas in die Augen. Rechtsseitig, in der Reihe der aufkolonierten Oldtimerlastwagen, sah ich ein mir bekanntes Gesicht. Richtig. Das des Carba Saurers. Augenblicklich vergass ich, dass ich mit einem Freund da war und lief dem einfach davon. Als hätten mich die beiden Scheinwerfer vorne wie die Augen der Aphrodite, der Göttin der Schönheit, hypnotisiert, zog mich der Saurer förmlich an. Bislang kannte ich ihn nur aus dem Internet von der Einfränkli Auktion und der kurzen Besichtigung. Nun stand ich direkt vor ihm. Auge in Auge. Ich war hin und weg. Das erste Mal hatte ich Gelegenheit, den Carba Saurer in seiner vollen Pracht zu bewundern. Ich konnte um ihn herumlaufen und er gefiel mir noch immer verdammt gut. Die schmale, lange Schnauze mit der verchromten Maske, deren unteres Ende vom Kühlergrill in den Spitz verläuft und zusammen mit der Formangepassten Stossstange einen vollendeten Abschluss bildet, einfach grossartig. Diese drei Elemente; Schnauze, Kühlermaske und Stossstange, ergeben ein so vollkommenes Bild wie ein Kunstobjekt aus der Jugendstilzeit. Dann die Kabine mit dem Stoffdach und der schmalen Frontscheibe. Gerade dieses Stoffdach mit seiner geraden oberen Fensterlinie, vermittelt diesen besonderen Ausdruck. Ja, ein wenig sogar, erinnert mich die Form an die amerikanischen Trucks aus der gleichen Epoche. Durch diese gerade Fensterlinie wirkt die Frontscheibe insgesamt schmal, was den Saurer beinahe etwas grimmig dreinschauen lässt, ein wenig wie Al-Capone’s Gangsterlimousine, der 1934er Cadillac. Die unten leicht einwärts verlaufende Kabine, die gerade schlichte Formgebung der Seitenfenster, die schwarzen einladenden Trittbretter, schlicht ein grafisches Meisterwerk. Die Proportionen von diesem Saurer stimmen von allen Seiten betrachtet und man könnte ihn nicht verbessern. Wie ein Aston Martin DB4, oder ein Flügeltürer Mercedes aus den Fünfzigerjahren. Fahrzeuge die einfach vollendet - perfekt sind. Mit jeder geglaubten Verbesserung würde ein Schrauber das Objekt nur verschandeln. Es stimmte einfach alles für mich. Das Modell, die Farbe, und ja, jetzt scheinbar auch der Zustand. Augenblicklich hätte ich mich ohrfeigen können, dass ich mein Limit damals nicht höher angesetzt hatte. „Verdammt“ entwich es mir, dass andere Besucher um mich es hören konnten. Sie blickten mich nur ein wenig irritiert an, gingen dann aber weiter. Und als meine Augen noch das Schild „zu verkaufen“ sahen, geriet ich beinahe in Rage. Da will also tatsächlich irgendein Typ Kohle aus dem Saurer machen. Wie viel Demuth muss denn dieser Saurer noch erfahren, fragte ich mich. Am Kontrollschild las ich SG und ein grosses U davor. Ein Händlerschild. Alles klar, fällte ich, ohne die Hintergründe zu kennen, mein Urteil über den aktuellen Besitzer. Ich steigerte mich so richtig in etwas hinein. Mein Freund Phippu, der plötzlich neben mir stand, bemerkte meinen aufgebrachten Gemütszustand und fragte, was denn los sei. Ich erzählte ihm die Geschichte vom Saurer und der Fränkli-Auktion. Während ich redete, ging ich um den Saurer und Ich musste zugeben, er stand verdammt schön auf dem Platz. Ich erinnerte mich, dass er bei meiner Besichtigung vor knapp einem Jahr, nicht so schön ausgesehen hatte. Achtlos stand er in dem Schuppen, sein gelbes Farbkleid und die schwarz lackierten Kotflügel in Staub eingehüllt wie ein unbedeutendes Stück Alteisen das man abgestellt und vergessen hatte. Hier in Sursee glänzte der Saurer. Die vorderen Reifen schienen neu zu sein, überhaupt machte der Saurer einen sehr gepflegten Eindruck. Wieder konnte ich es nicht lassen und ich fotografierte das Verkaufsschild mit der Telefonnummer. „Wosch ne choufe?“ kickte mich Phippu von der Seite an. Ich bejahte seine Frage und versprach ihm in knappen Worten, sollte es tatsächlich zu einem Kauf kommen, wäre er der Mann, der bei der Überführungsfahrt dabei sein werde. Phippu, ein langjähriger guter Freund, war schon bei so manchem verrückten und weniger verrückten Kauf dabei. Bei diversen Überführungsfahrten von Klassikern in meiner Sammlung war er mit von der Partie und da er ungefähr in gleichem Masse Oldtimerverrückt ist wie ich, waren das immer lustige Momente. Einige Tage später griff ich zum Telefon um der Tatsache auf den Grund zu gehen. Ich war neugierig, wie der Besitzer reagieren würde, wenn ich ihn mit Fakten konfrontiere, die ich auf Grund meiner Vorkenntnisse habe. Am anderen Ende der Leitung meldete sich ein Herr Gantenbein, dessen tiefe und warme Stimme überhaupt nicht klang wie die eines halsabschneiderischen Händlers. Tatsächlich hatte ich wieder einmal Glück in meinem Leben, mich in Sachen Menschenkenntnisse getäuscht zu haben. Herr Gantenbein entpuppte sich als kerniger Saurerfan und seine Geschichte, wie er zum Carba Saurer kam, fand ich genial. Wie ich hatte er den Saurer im Netz gefunden und als er ihn gesehen habe, seien ihm sofort alte Erinnerungen aufgekommen. „Lueg amol Schatz, uf genau so aim han ich gleart Laschtwagefahre“ habe er zu seiner Frau gesagt. Als ihm seine Frau über die Schulter geschaut habe, meinte sie trocken: „Büt doch mit, isch jo kan Pris“. Gesagt getan, habe er lediglich den nächsten Erhöhungsschritt gedrückt und dann habe er den Computer heruntergefahren. Für ihn habe festgestanden, dass der Saurer bis zum Aublaufen der Anzeige noch ordentlich höher steigen werde. Als ihn am nächsten Tag ein Telefon aus Bern erreichte und man ihm zum Kauf des Saurers gratulierte, habe er die Welt nicht mehr verstanden. Nun gut, gekauft ist gekauft und so habe er sich mit dem Zug nach Bern begeben, unter dem Arm einen Satz Händlerschilder und den Saurer nach Hause überführt. Der Saurer sei trotz der langen Standzeit anstandslos gelaufen. Die Bremsen hätten zwar etwas geschlagen, doch sei er ohne jegliche Zwischenfälle nach rund fünf Stunden heil in Häggenschwil angekommen. Am schlimmsten seien die uralten und dadurch steinharten Vorderreifen gewesen. Die hätten sich während der Fahrt angefühlt wie Vollgummireifen und die Überführung des Saurers zur reinsten Tortur gemacht. Er habe sich daher entschieden, den Saurer umgehend in seine Vertrauensgarage zu bringen. Dort habe man sämtliche Flüssigkeiten gewechselt, die Bremsen rund gedreht und eben, die Vorderreifen gewechselt. Erst dann sei der Saurer in technisch einwandfreiem Zustand da gestanden. Herr Gantenbein kumulierte den Kaufpreis mit seinen Investitionen und rundete die beiden Zahlen zu einem fairen Verkaufspreis ab, zu welchem er mir den Saurer offerierte. Schliesslich gehöre dieser Lastwagen irgendwie wieder nach Bern. Mit diesen Worten hatte Herr Gantenbein nach wenigen Minuten Telefongespräch meine volle Sympathie gewonnen. Sämtliche Arbeiten könne er mit Quittungen belegen, auch die Dokumente die er von der Firma Carba erhalten habe, dies alles gehöre zum Lastwagen und stehe jederzeit zur Einsicht bei ihm in Häggenschwil bereit. Nach dem Anruf sendete er mir per SMS spontan ein Foto vom Carba Saurer, wie er gut behütet bei ihm in einer Halle stand. Für mich war klar, der Saurer wäre grundsätzlich am richtigen Platz gestanden, jedoch am falschen Ort. Es war nun meine Aufgabe, den geografischen Standort des Saurers wieder zu korrigieren und diesen nach Bern zu holen. Es wurde November bis ich finanziell und zeitlich für eine Besichtigung des Saurers bereit war. Da ich den Saurer nun kannte und mich die Worte von Herrn Gantenbein überzeugten, wollte ich Nägel mit Köpfen machen. Ich hielt mein Versprechen Phippu gegenüber, dass wir den Saurer gemeinsam abholen würden, sollte es zu einem Kauf kommen. Nun stand ich einen Schritt davor – auch wenn dieser rund zweihundert Kilometer war – und am 18. November sassen Phippu und ich im Zug Richtung St. Gallen. Im Handgepäck zwei Sandwiches, einen Satz Händlerschilder und natürlich eine schöne Stange Geld. Herr Gantenbein holte uns am Bahnhof ab und mit den Worten; „ich bin de da Ruadi“ wurde das erste Eis gebrochen. Den Carba Saurer hatte er für die Besichtigung bereit gestellt, einer ausgiebigen Probefahrt stand nichts im Weg. Anfangs übernahm Ruedi das Steuer. Unerfahren wie ich war, stieg ich als Beifahrer schon mal auf der falschen Seite ein, nämlich rechts und dort ist bei den alten Saurer das Lenkrad und die Pedalerie. Nach ca. zehn minütiger Fahrt stoppte er den Eidgenossen mitten auf einer schwach befahrenen Nebenstrasse und ich durfte mich hinter das riesige, weisse Lenkrad setzen. Der Lenkradkranz war so dick wie eine Olmaschüblig, doch gerade weil es weiss ist und in der Mitte der Hupknopf mit dem Saureremblem thront, vermittelt es Eleganz und es hält sich trotz seiner Grösse gut in den Händen. Die schwarze Billardkugel auf dem Schalthebel fühlte sich geschmeidig an und der Sitzkomfort war trotz einer lediglich fest montierten Bank, ganz ok. Lediglich die Pedale waren etwas nah am Sitz, damit musste ich klar kommen, denn weder Sitzbank, noch Pedale konnte ich verstellen. Mit meinen 184 cm Unbeweglichkeit entsprach ich bestimmt nicht mehr den sportlichen Massen eines Lastwagenführers aus den Fünfziger. Damals waren die Menschen im allgemeinen kleiner, dies widerspiegelt sich in den Platzverhältnissen in alten Häusern, in alten Betten und eben Oldtimerfahrzeugen. Alles in allem liess sich der Saurer einwandfrei fahren. Dank dem alten Wasserwerfer der noch immer für die Polizei im Einsatz steht und den ich sporadisch bei Einsätzen lenke, bin ich mit der alten Mechanik einigermassen vertraut. Zwischengas und Doppelkuppeln waren keine Fremdworte mehr für mich. Der Saurer machte mir jedoch noch mehr Spass als das ehemalige Löschfahrzeug, ein Mercedes Lastwagen von 1969 der, wie bereits erwähnt, noch immer seine Dienste tut für die Polizei. Mit Baujahr 1956 ist der Saurer natürlich noch eine Spur archaischer als der Mercedes. Der Saurer fordert den Mann noch auf’s Ganze! Der dicke Eidgenosse ist gutmütig und verzeiht vieles, nur keinen Stress. Alles muss bedacht, mit Ruhe und Geduld geschehen. Etwas „härejufle“ wird mit unschönen Geräuschen und aufdringlichen Vibrationen bestraft. Es gibt Menschen, die bezahlen für Entschleunigungskurse viel Geld, oder buchen dafür sogar Ferien. Ein paar Stunden Saurerfahren und man ist kuriert. In einer nahegelegenen Beiz wurde der Papierkram erledigt, Ruedi zeigte mir noch sämtliche Dokumente und Unterlagen die zum Saurer gehören. Per Handschlag wechselten dann ein paar bedruckte Papierscheine, gegen ein Stück technisches Kulturgut, den Besitzer. Meine daheim berechnete Fahrzeit betrug rund viereinhalb, mit Kaffeestopp, fünf Stunden. Phippu hatte die Aufgabe des Navigators und Anzeigeüberwachers erhalten und so machten wir drei uns auf den Heimweg.
Ich bin in meinem Leben schon unzählige spektakuläre Autos gefahren. Vom Vacel-Vega zum Ferrari, vom Lamborghini zu einer originalen AC- Cobra, bis hin zu einem Rolls Royce aus den Zwanzigern. Doch beim besten Willen kann ich mich nicht daran erinnern, jemals bei einer Fahrt mit einem Oldtimer, dermassen viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen zu haben wie mit dem Saurer. Die Menschen auf den Strassen blieben stehen und drehten sich um, als wir an ihnen vorbeifuhren. Bei den älteren Menschen musste unser Auftritt bestimmt Erinnerungen an die guten alten Zeiten geweckt haben. Die Lastwagenfahrer winkten mir wieder zu, eine Geste, die mit dem zunehmenden Verkehr über die Jahre verloren gegangen ist. An diesem Tag hoben praktisch alle ihre Hand wieder und grüssten uns freundlich. Sogar ein Rennvelofahrer auf seinem Sportgerät hörte auf mit Pedalen, winkte höflich und streckte den Daumen nach oben, als wir ihn kreuzten. Im Normalfall tauschen sich Rennvelofahrer und Lastwagenfahrer andere Gesten aus, wenn sie aneinander geraten. Umso mehr freute mich dieses Verhalten des Sportlers. Der Saurer begeisterte die Menschen auf der gesamten Überführungsfahrt. Trotz seiner Grösse hat der Saurer einfach ein sympathisches Gesicht. Dazu die liebliche Farbe Gelb und die beiden Kulleraugen vor den schwarzen Kotflügeln, all das kumuliert, entlockt aus der breiten Masse doch eher den „Jö-Effekt“ als Ablehnung. Dann der Motor. Es gibt glaube ich keinen schöneren Sound als der eines Saurermotors. Eine Orchestergruppe, bestehend aus sechs Kolben, die in gleichmässigen auf- und abwärts Bewegungen den Takt stampfen und dabei den unverwechselbaren Blues von Arbon spielen. Dieses Orchester begleitete uns über unzählige Hügellandschaften die kleineren Passfahrten glichen, wir fuhren durch grosse Ortschaften, kleine Dörfer, über Schnellstrassen, nur die menschenbefremdenden und unsympathischen Autobahnen liessen wir aus. Da es Februar war, waren die kleineren Pässe die wir bewältigten noch schneebedeckt, lediglich die Fahrbahnen trennten das Weiss für eine Fahrzeugbreite. Ich fühlte mich wie in einen alten Heimatfilm, es fehlten nur noch die Stimmen von Roy Black und Conny Franzis, oder eben Heintje, die uns während der Fahrt begleiteten.
Auch wenn mich einige Haarnadelkurven im Zürcher Oberland ziemlich forderten und mich der Anblick der tief verschneiten Landschaften in dem Augenblick nicht sonderlich berauschten, es war zweifelsohne ein Abenteuer der besonderen Art. Auch wir benötigten etwas mehr als fünf Stunden inklusive einem Tankstopp für den Saurer - und einem für uns. Diesen Halt machten wir in Wolhusen, wo uns ein wohlgesinnter Parkplatz quasi zum Anhalten animierte. Das Restaurant kaum betreten, standen wir, mein Saurer, Phippu und ich, schon wieder im Mittelpunkt. Phippu schmunzelte und meinte; „ig mues mir jetz de ou sone Saurer choufe.“ Es dauerte nicht lange, stand ein alter Mann, der beim Erblicken des Saurers seine Gesellschaft kurzerhand verliess, bei uns am Tisch. „Dä Laschtwage isch sicher ä halbi Million wärt, gänd si nen nid drunder!“ meinte er in ernstem Ton, seinen Zeigefinger bestärkend in die Höhe gestreckt. Ich lachte und meinte, dass es doch etwas Verwegen wäre, etwas zu verkaufen, was man doch erst gerade gekauft habe. Der alte Mann riss seine Augen weit auf und gratulierte mir mit festem Händedruck zu meinem Kauf. Wir wechselten ein paar Worte und wie erwartet, waren es die Erinnerungen die ihn so positiv dem Saurer gegenüber stimmten. Er kehrte in seinen Erzählungen in die Vergangenheit zurück und fand nur lobende Worte über die Qualitätsmarke Saurer. Plötzlich mischte sich der Gast am Nebentisch in das Gespräch ein, der meinte, sein Vater wäre mit genau einem solchen Saurer unterwegs gewesen. Er habe für die Firma BP gearbeitet und Fässer und Kanister der Treibstoffmarke ausgeliefert. Wahnsinn dachte ich für mich. Da parkt man einen alten Saurer vor der Beiz und im Handumdrehen bist du mit allen im Gespräch. Momente wie diese finde ich dann grossartig. Wenn ältere Menschen von ihren Erinnerungen berichten, von Erinnerungen, wo Saurer Lastwagen wie der meinige noch im täglichen Einsatz standen. Alte Menschen sind wie offene Geschichtsbücher. Sie erlebten jene Zeit, für welche ich mich begeistere. All die Tanksäulen, die Emailtafeln und anderen Requisiten in meiner Sammlung, haben sie eins zu eins erlebt. Ich bin 1975 auf die Welt gekommen und ich kann mich wage an die frühen Achtziger erinnern, wo Autos wie mein Trans Am noch auf den Strassen herumfuhren. Aber an die Epoche, als der Tankwart die zwei Fünflitergläser mit Benzin füllte, ehe er den Hahn der Pistole von Hand aufdrehen musste um den Tank zu füllen, oder wie die emaillierten Werbetafeln noch reihenweise vor den Kolonialwarenlädeli hingen, dies war deutlich vor meiner Zeit. Männer die Lastwagen wie meinen Saurer täglich lenkten, sind Helden für mich. Meine Wenigkeit entstieg nach nur drei Stunden Fahrt den Lastwagen, gebeutelt und von den Strapazen gezeichnet. Und wie war es damals? Früher fuhren sie mindestens fünf Tage die Woche in diesen knüppelharten Kisten und Synonyme wie vollautomatisches, sequenzielles Schaltgetriebe, Servolenkung oder luftgefederte Komfortsitze, waren Fremdworte. Eine Sitzposition musste ausreichen und wem die nicht passte, der musste sich für einen anderen Job entscheiden oder sich damit abfinden. Lenkbewegungen bei Langsamfahrten glichen einem Krafttraining und auch der Kupplungsdruck kann man heute nur noch in einem Fitnesscenter unter der Beinpresse simulieren. Kein Wunder zeichnen sehnige Muskelstränge, die sich wie ein Kartenrelief über den Unterarmen ausbreiten, die starken Arme der Helden von damals, wenn ich sie auf alten Fotos bewundere. Braun gebrannt, von der harten Arbeit gezeichnet und meist eine Zigarette oder eine Brissago im Mund. Hinzu kommt, wo Schotterstrassen damals den Lastwagenführer durchschüttelten, werden die Chauffeure von heute auf Autobahnen mit Flüsterbelag verwöhnt und das Ausliefern von Ware gleicht einem Ritt in einer Sänfte.
Aber hier in Wolhusen ging es um uns, Phippu und mich, wie wir im Jahr 2017 einen über sechzigjährigen Saurer überführten. Wir erzählten von unserer abenteuerlichen Fahrt vom Bodensee bis hierher und wie sehr mir das linke Bein, besonders der Oberschenkel, vom ständigen Kuppeln schmerze. Wie bereits erwähnt, ist die Anordnung der Pedale für einen grossgewachsenen Mann wie mich suboptimal und dies forderte seine Tribute. Aber was soll’s. Wer seinen Oldtimer liebt, ist bereit dafür zu leiden! Der Saurer brachte Phippu und mich sicher nach Sumiswald. Er lief wie einst 1956 und die Ingenieure von damals verdienen meinen uneingeschränkten Respekt. Kein Stottern, kein Ruckeln (ausser ich hatte das Bremsen mal nicht im Griff), einfach eine wunderbare und äusserst präzise Maschine. Die Motorbremse und Halbgangschaltung funktionierten ebenso problemlos wie sämtliche Anzeigen, die Blinker und das Kühlerrollo. Zu Hause hatte ich den Platz für die jüngste Errungenschaft bereits am Vorabend frei gemacht, ihr gebührte die Ehre, neben dem Cadillac zu stehen. Der linke Oberschenkel erinnerte mich noch mehrere Tage an die unvergessliche Fahrt mit dem Saurer. Es war für mich die schönste Fahrt überhaupt in einem Oldtimer. Die Zuverlässigkeit und Qualität des Eidgenossen überzeugten mich durchwegs und die Begeisterung für alte Schweizer Lastwagen hat mich vollends ergriffen. Auf Berndeutsch gesagt; „Äs het mir der Ermu ichezoge“! Jedes Mal wenn ich Besuchern meine Sammlung zeige, weise ich sie mit grossem Stolz darauf hin, nun auch einen echten Schweizer in der Fahrzeugflotte zu haben.
Der Carba Saurer selber hatte ein bewegtes Leben. Nach jahrelangem und hartem Einsatz wurde er irgendwann in den Achtzigerjahren verkauft. Der neue Besitzer machte nichts an dem Lastwagen. Er überliess ihn seinem Schicksal, liess ihn einfach stehen. Jahre später kaufte ihn die Firma Carba wieder zurück und er wurde anlässlich des hundertjährigen Firmenjubiläums restauriert. Mit Paukenschlag und Fanfare durfte der Saurer der Feierlichkeit beiwohnen, bevor er für mehr als zwei Jahrzehnte erneut unwürdig in einem Schuppen abgestellt wurde. Geld für die armen Kinder in aller Welt war der Grund, weshalb der Saurer 2015 auf einer Internettplattform landete, wo er ab einen Franken angeboten wurde. Ruedi Gantenbein, der den Saurer eigentlich gar nicht wollte, rettete das gute Stück aus seinem Dornröschenschlaf. Meine Begeisterung für den Saurer konnte ich nie leugnen. Vom ersten Augenblick an als ich ihn im Internet sah, zur Besichtigung mit Trümpler Hans im alten Depot, bis hin zum Saurertreffen, wo sich unsere Wege abermals kreuzten. Ich wusste, der Carba Saurer würde einmal bei mir in meiner Sammlung stehen. Es war nur eine Frage der Zeit.
Der Eigentümer des Saurers ab 2019 ist Aschi mein Saurer-Götti. Platzgründe haben mich dazu bewogen, den Saurer in gute Hände zu übergeben und er ist definitiv in guten Händen!! Er bleibt quasi in der Familie...
„Die großen Augenblicke des Lebens kommen von selbst. Es hat keinen Sinn, auf sie zu warten“
Thornton Wilder